Gelassenheit

„Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und gib mir die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“
(Friedrich Christoph Oetinger, 1702 -1782)

Der Sommer neigt sich langsam dem Ende zu, und überall in Deutschland wird über die starken Regengüsse geschimpft. Hier an der Ostsee war heute ein wundervoller Spätsommertag, morgens und abends war es schon recht kühl, tagsüber aber herrliches Wetter mit Sonnenschein, blauem Himmel und ein paar weißen Wölkchen.

Mein Mann und ich leben nun schon viele Wochen hier am Meer, wir nehmen das Wetter, wie es ist. Zweimal pro Woche fahren wir quer über die Insel zu der Therapeutin, die meinem Mann so gut helfen kann. In den letzten Tagen gab es oft heftige Regenschauer, dabei ist es nicht so erfreulich, mit dem Rollstuhl zum Auto zu fahren. Aber statt den Termin abzusagen oder mich aufzuregen, wartete ich einfach ab. Und tatsächlich hörte es immer auf zu regnen, bevor wir losfuhren. Oft kam dann sogar die Sonne heraus, so dass wir die Fahrt über die Insel sehr genossen. Bei jeder Fahrt bemerken wir winzige Veränderungen der Farben, ganz allmählich geht es auf den Herbst zu.

Das Wetter ist sicher ein Thema, über das viel gejammert und geklagt wird, aber wir können es nun mal nicht ändern. Genauso wenig wie wir es ändern können, dass es hier eine Zeitlang sehr viele Mücken gab, dazu dann auch viele Spinnen, die ihre Netze auf unserem Balkon oder am Auto bauten und die Mücken fingen. Wenn ich früh morgens den Balkon sauber fegte, freuten sich die kleinen Seeschwalben über ein leckeres Frühstück. Aber manchmal schlief ich einfach etwas länger, so dass die Mücken und die Spinnen auf unserem Balkon die Sonne genießen konnten. Mal ganz ehrlich, gestört haben sie mich überhaupt nicht. Eines Tages änderte sich das Wetter und alle Mücken waren weg. Ich fegte den Balkon, wischte die Möbel ab und schon war alles wieder sauber.

Einige Nachbarn regten sich über die Mücken auf und ärgerten sich, aber ich blieb gelassen. Denn was man nicht ändern kann, muss man einfach hinnehmen. Dann ist es leichter zu ertragen. Seit vielen Wochen leben wir am Meer, und da kann man wirklich Gelassenheit lernen. Die Ostsee ist immer da, egal wie unsere Stimmung ist, sie ist mal blau, dann glitzert sie wie das Mittelmehr, mal ist sie grau und voller Schaumkronen. „Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber Du kannst lernen sie zu reiten.“ So lautet ein Spruch unbekannter Herkunft.

Das Meer lehrt uns Gelassenheit, es ist egal, wie hoch die Wellen sind oder ob die Wasseroberfläche ganz glatt ist. Das Meer ist da und es macht uns glücklich, wenn wir hinausschauen bis zum Horizont, die weißen Segelboote beobachten und dem Spiel der Möwen zuschauen. Nachts leuchtet das Meer im Schein des Mondes, und man schaut voller Bewunderung zum herrlichen Sternenhimmel hinauf. Das Rauschen des Meeres wiegt uns in den tiefen Schlaf, und morgens wachen wir beim Kreischen der Möwen wieder auf. Ruhe und Gelassenheit lassen uns langsam gesunden. Man ist beruhigt, denn das Meer kann man, genau wie das Wetter, nicht beeinflussen. Der Sommer war hier wunderschön, viele Wochen genossen wir die Wärme, und wir lebten ganz einfach und langsam. Im Juli gab es keine Ausgabe meines Newsletters „Leben ist mehr“, und auch die August-Ausgabe wird Sie erst am 1. September erreichen. Ich habe mich von dem (selbst erzeugten) Druck befreit, unbedingt jeden Monat einen Newsletter zu schreiben. Ich bin gelassener geworden.

Gelassen blieb ich auch, als die Druckfahne meines neuen Buches gerade an dem Montag hier eintraf, als ich abends zu einer Geburtstagsfeier eingeladen war. Am nächsten Tag gab es Wichtigeres zu tun, an übernächsten auch, und am Donnerstag fuhren wir wieder zur Therapie. Im Nu war es Freitag, und ich hatte immer noch nicht Korrektur gelesen. Ich habe das Wichtigste gemacht und mich um meinen Mann gekümmert, aber ich bin nicht – so wie früher – den Ansprüchen anderer hinterher gehetzt. Und siehe da, am Freitag meldete sich der Lektor, weil er für eine Woche in den Urlaub fuhr. Mein neues Buch wird wohl trotzdem im September erscheinen.

Ich glaube, Gelassenheit ist ein wichtiger Aspekt, wenn man glücklich älter werden will. Dazu gehören selbstverständlich auch die Anti-Aging-Faktoren wie Bewegung, gute Ernährung und Gesundheit. Aber das erleichternde Gefühl, endlich angekommen zu sein, verschafft uns doch ein großes Gefühl, gelassen und einfach glücklich zu sein. Wir lassen uns nicht mehr unter Stress setzen, so wie früher, und wir werden von der Meinung anderer viel unabhängiger. Das sind große Vorteile beim Älterwerden, die unsere Lebensqualität stark erhöhen.

Wie sieht es nun aber mit dem Mut aus, Dinge zu ändern, die man ändern kann?

Zu Beginn unseres Aufenthaltes hier auf der Sonneninsel Fehmarn habe ich mir überlegt, dass ich in Situationen, die mir Unwohlsein bereiten, einfach etwas verändern muss, z.B. an meinem Verhalten oder an der Organisation. Früher hatte ich in den Tagen nach der Anreise oft großen Stress, diesmal aber nicht. Auf der Hinreise hatten wir in Celle ein Konzert der berühmten Geigerin Anne Sophie Mutter besucht, das uns beide sehr begeistert hatte. Und so ging das Einleben diesmal viel besser. Oft sind es die eigenen Gedanken und Gewohnheiten, die etwas schwierig werden lassen. Aber gegen Ängste und Zweifel, gegen Bedrückung und Lethargie kann man etwas tun. Und so gerieten wir ganz allmählich in einen harmonischen Rhythmus, der unseren Aufenthalt hier in der winzigen Strandwohnung sehr angenehm werden ließ.

Nach einigen Wochen merkten wir, dass wir ein unglaubliches Glück gehabt hatten, auf der Insel eine gute Therapeutin für meinen Mann gefunden zu haben. Dann wurde es ganz leicht, unseren geplanten Urlaub abzusagen und einfach hier zu bleiben. Und dann entstand so ganz allmählich der Wunsch, für immer hier auf der Insel zu bleiben. Denn zwischen unserem Hauptwohnsitz in Bamberg und unserem Zweitwohnsitz am Südstrand auf Fehmarn liegt jeweils eine Reise von fast 700 km, die uns Kraft und Energie raubt und der Gesundheit meines Mannes nicht zuträglich ist. Lesen Sie hierzu bitte die beiden letzten Postings in meinem Blog „Strandallee IV: Sommerglück“ und „Strandallee V: Glücklich im Strandkorb“. Übrigens: Über die Strandallee fuhren wir in den letzten Tagen häufiger immer zu demselben Ort. Ein Weg zum Glück? Wir werden sehen.

Wenn wir uns für unser Leben mehr Gelassenheit wünschen, dann sind sicher drei Aspekte wichtig: Wir sollten lernen, das hinzunehmen, was nicht zu ändern ist. Wenn aber etwas zu ändern ist, dann sollten wir es auf jeden Fall tun. Und schließlich ist es ganz wichtig, dass wir lernen zu unterscheiden, was wir hinnehmen müssen und was wir ändern können. Dann müssen wir nicht mehr über das Wetter oder die Mücken schimpfen. Statt dessen können wir unsere Energie dafür verwenden, all die Dinge zu ändern, die uns stören, die uns unzufrieden und unglücklich machen. Und wir werden bestimmt bald viel zufriedener und glücklicher leben.

Literatur: Beate Forsbach, Leben ist mehr. Lebenskunst lernen beim Älterwerden, BOD 2009, ISBN: 978-3-837-04129-3, 11,95 Euro; Beate Forsbach: Leben allein genügt nicht. Von der Kunst des Älterwerdens, BOD 2010, ISBN: 978-3-8391-3864-9, 16,95 Euro

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Kategorisiert in Allgemein

Von Dr. Beate Forsbach

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