Anerkennung im Ehrenamt – zwischen „Tauschgeschäft“ und „Philosophie“

Im Ehrenamt besitzt die Anerken- nungskultur einen besonderen Stellenwert. Im Gegensatz zu Hauptamtlichen bekommen Ehren- amtliche keinen monatlichen Gehalts-Scheck. Trotzdem arbeiten sie nicht „für umsonst“. Wo sich Menschen freiwillig engagieren, bringen sie zumeist ganz eigene Motive und Bedürfnisse mit, die sie mit ihrem Engagement verknüpfen und die entsprechend von Seiten der Einsatzstellen berücksichtigt werden sollten1

Aus der Erkenntnis, dass unentgeltliche Arbeit nicht allein aus Nächstenliebe geleistet wird (oder werden muss), ist in den letzten Jahren eine Bandbreite an nicht-monetären Formen der Anerkennung entstanden, die das freiwillige Engagement wertschätzen und attraktiv gestalten sollen. Ehrenamtliche Arbeit ist zuvorderst „Geben“, schließt aber das „Nehmen“ nicht aus.

Aber: Ist die Anerkennungskultur nun eine Philosophie – oder handelt es sich vielmehr um ein Tauschgeschäft?

Diese Frage beschäftigt mich, seitdem ich auf der Seite des Projekts a.D. „Civitas – Bürgerorientierte Kommunen in Deutschland“ folgendes Zitat gelesen habe:

Auf die Freiwilligenarbeit angewandt ist Anerkennungskultur die Gesamtheit dessen, was zur Anerkennung beiträgt. Dies als Philosophie zu bezeichnen, entspräche nicht der Realität. Denn Engagierte brauchen mehr als abstrakte Denkformen, sie brauchen anschauliche, erlebbare Formen der Anerkennung. Anerkennungskultur besteht aus vielen einzelnen Teilen. Anerkennungskultur ist eine Ermöglichungshaltung.“ (Quelle: Civitas Projekt-Seite).

Bei der Frage, was die Anerkennungskultur hier nun ist (oder ausmacht), lassen sich m. E. aus dem Zitat drei verschiedene Aussagen lesen:

  1. Anerkennungskultur ist alles, was zur Anerkennung beiträgt. Sie ist aber keine Philosophie.
  2. Engagierte müssen Anerkennung unmittelbar erleben, sehen und anfassen können. Kognitives Erleben ist zu abstrakt.
  3. Anerkennungskultur ist eine Ermöglichungshaltung (d.h. der Einzelne nimmt eine Haltung ein, die Ehrenamtlichkeit ermöglicht und nicht verhindert).

Auf den ersten Blick erscheinen die Aussagen logisch. Vor allem, wenn es darum geht, Ehrenamtliche unkompliziert für die eigene Organisation zu gewinnen. Rein praktisch gesehen, würde ich die Aussage daher so deuten:

„Anerkennungskultur meint, Ehrenamtliche als Teil unserer Organisation zu akzeptieren (zumindest zu tolerieren) und Strukturen zu schaffen, die es Menschen prinzipiell möglich machen, sich für unsere Organisation zu engagieren. Dazu gehören bestimmte sichtbare Handlungen/Gegenstände, die den Ehrenamtlichen symbolisieren, dass wir sie wertschätzen.“

Streicht man zusätzlich – wie in dem Zitat angeklungen – die Auffassung raus, Anerkennungskultur als Philosophie oder Kognition zu begreifen, würde ich die Aussage wiederum so deuten:

„Wir wollen/müssen Ehrenamtliche für unsere Organisation gewinnen. Daher brauchen wir jemanden, der die Einsätze der Freiwilligen managt. Zusätzlich brauchen wir ein Arsenal an Geschenken, das die Arbeit attraktiv macht und die Ehrenamtlichen langfristig verfügbar hält.“

Aus dieser Perspektive gleicht das freiwillige Engagement tatsächlich einem Tauschgeschäft. Es folgt der Logik eines ökonomischen Kreislaufs, einer Dienstleistungs-Mentalität. Ich arbeite für euch, dafür bekomme ich eine Belohnung und weil ich eine Belohnung bekomme, arbeite ich weiter für euch. Aber: Ist freiwilliges Engagement ein Dienstleistungsgeschäft?

Ich möchte nicht ausschließen, dass es Organisationen gibt, die Ehrenamtlichkeit wirklich auf diese Art begreifen. Hannes Jähnert, der sich mit Formen und Möglichkeiten des Online-Volunteering beschäftigt, sieht die Gefahr durchaus gegeben, dass Organisationen statt echter UnterstützerInnen bloß unentgeltliche DienstleisterInnen rekrutieren wollen. Freiwilliges Engagement bedeutet aber viel mehr. Jähnerts Meinung nach, geht es nicht (nur) darum, Freiwillige als Teil der Organisation zu begreifen, sondern Freiwilligkeit generell als zivilgesellschaftliche Selbstverständlichkeit zu verstehen. Voraussetzung dafür sind individuell sinnvolle Tätigkeiten und echte Demokratie im Rahmen des Engagements.

Auch Brigitte Reiser stellt in ihrem Blog die Frage, wie sich diese „echte“ Demokratie stärken lässt. Den Schlüssel zu mehr gelebter Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Akteure in Vereinen sieht sie in einer interaktiven Perspektive, die v. a. Selbstreflexion, Kooperation und Netzwerke mit einschließt.

Wer sich mit freiwilligem Engagement beschäftigt, kommt schnell vom „Hundertsten zum Tausendsten“.

Das liegt vor allem daran, dass Freiwilligkeit eben keine Dienstleistung ist, sondern viele Themen berührt, die grundsätzliche menschliche Fragestellungen berühren. Die philosophischer Natur sind.

Die Frage nach dem Sinn (von Arbeits-Tätigkeit), zum Beispiel. Nach Wertigkeit. Nach Authentizität. Nach Demokratie und Miteinander. Nach Geben und Nehmen. Nach Selbstlosigkeit und Eigennutz. Nach Selbstverständlichkeit und Besonderheit. Nach Grundhaltung und Perspektive. Nach Kommunikation und Interaktion. Und eben auch danach, inwiefern sich die einzelnen Akteure in dieser Interaktion gegenseitig als PartnerInnen anerkennen sollten, (bzw. welches Menschenbild sie vom anderen haben sollten), um überhaupt kooperativ, reflexiv, selbstlos, zivilgesellschaftlich oder demokratisch handeln zu können.

Zurück zu dem eingangs erwähnten Zitat. Zugegeben, ich wurde dem Zitat nicht ganz gerecht, als ich den philosophischen Teil der Aussage konsequent gestrichen habe. Schließlich heißt es in dem Zitat

„Dies [die Anerkennungskultur] als Philosophie zu bezeichnen, entspräche nicht der Realität.“

Heißt also: Es gibt sie doch, die Philosophie hinter der Anerkennungskultur.
Nur nicht in realo.

Bleibt also die Frage übrig, was unter Realität zu verstehen ist.

  • Ist nur das real und wichtig, was ich (bzw. die Organisation) unmittelbar sehen, anfassen und verwerten kann?
  • Ist eine bestimmte Grundhaltung, ein Wert oder eine Norm, die hinter einer sichtbaren Handlung steckt, dementsprechend irreal und unwichtig?
  • Und sind Freiwillige – platt gesagt – wirklich zu doof, um abstrakte Denkweisen zu begreifen?
  • Oder sind es vielleicht die Organisationen, die zu wenig Ressourcen (Zeit, Personal, Ideen, Wissen…) haben, sich auch mit der untergründigen Komplexität von Anerkennung und Freiwilligkeit auseinanderzusetzen?

Im Hauptbericht des Freiwilligensurvey 2009 wird freiwilliges Engagement als Herz der Zivilgesellschaft bezeichnet:

„Öffentliche Beteiligung ist eine wichtige Quelle der Entwicklung der Zivilgesellschaft und unserer Gesellschaft überhaupt, aber erst das freiwillige Engagement beschreibt in Form eines Handlungsbegriffs den innersten Kern der Zivilgesellschaft“ (ebd. S. 91).

Wenn das mal nicht philosophisch ist!

Dienstleistung hat – sachlich gesehen – kein Herz. Es sei denn, man legt selber welches hinein und verändert damit die Perspektive. Dann aber verändert man auch die Perspektive auf diese (neue) Perspektive und damit die Perspektive von Anerkennung und Freiwilligkeit an sich. Zumindest philosophisch gesehen…

  1. diese Aussage trifft m. E. natürlich auch auf Hauptamtliche zu. In der öffentlichen Wahrnehmung wird hier jedoch eine Unterscheidung getroffen, sodass die Anerkennungskultur zumeist als spezifisch „ehrenamtlich“ eingeordnet wird.
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Kategorisiert in Allgemein

Von Julia Russau

Ich bin Diplom-Pädagogin und studiere zurzeit den weiterführenden Master-Studiengang “Bildung und Medien: e-Education” der Fernuni Hagen. Nebenbei arbeite ich als freie Autorin und bin für Organisation, Marketing und Kundenbetreuung eines familiären Onlinehandels tätig. Ich bringe berufliche Erfahrungen aus den Bereichen demokratische Schulentwicklung, Anti-Diskriminierungsarbeit, Migrationssozialberatung, Weiterbildung und Ehrenamtsarbeit mit.

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