Alt werden in Deutschland: Die Herausforderungen wachsen weiter

Etwa 20 % der Würzburger Bevölkerung sind über 65 Jahre alt, über 58 % leben in Ein-Personen-Haushalten – die Schnittmenge dürfte groß sein und damit auch die Zahl alter Menschen, die sich einsam fühlen. Dies erfährt auch Ina Semmel mit ihrem Team im Pflegestützpunkt der Stadt Würzburg. Seit 1. Juli 2021 hatten die drei ausgebildeten Pflegeberaterinnen Kontakt zu 1.844 Personen, gerechnet auf 249 Arbeitstage waren dies 7,4 Beratungen pro Tag. Es gibt immer mehr Hochbetagte, immer mehr Einzelhaushalte ohne Kinder oder mit Kindern, die weit entfernt leben. Sowohl der Mangel an Pflegeheimplätzen, als auch der Wunsch alter Menschen, bis zuletzt zuhause zu wohnen, intensivieren den Beratungsbedarf im Pflegestützpunkt. Am häufigsten meldeten sich pflegende Angehörige, zunehmend aber auch selbst betroffene, pflegebedürftige Menschen. „Von 2019 bis 2022 nahm die Zahl die Beratungen um 27 % zu“, berichtet Ina Semmel. „Zudem hat Intensität und Komplexität der Fälle zugenommen.“

Pflegebedürftigkeit und Immobilität ziehen häufig Einsamkeit nach sich, daraus entwickelt sich oft auch geistige Immobilität. Kleinigkeiten können zu großen Hürden werden. Ina Semmel merkt das schon an den ersten Takten eines Telefongespräches. „Einsame Menschen rufen häufig mehrmals hintereinander an, sie klagen, sind depressiv, erleben massive Stimmungsschwankungen, können bisweilen auch aggressiv sein. Kommt dann noch etwas Unvermutetes dazu, sind sie oft hilflos, unsicher, und vieles schaukelt sich hoch.“

In den Zeiten der Corona Pandemie haben sich sowohl Seniorinnen und Senioren als auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer weiter zurückgezogen. Damit hängt noch mehr an den Angehörigen. Diese sind häufig überlastet. „Es fehlt einfach an Kurzzeitpflegeplätzen, vor allem weil es so sehr an Personal mangelt. Es ist sehr schwer, einen wohnortnahen Pflegeplatz zu finden. Die Angehörigen müssen notgedrungen diese Lücke schließen“, so Semmel.

Pflege zu Hause benötigt aber auch ein pflegefreundliches Wohnumfeld. Dementsprechend ist die Wohnberatung ein zweiter großer Schwerpunkt. Ina Semmel führt diese seit 2007 durch und auch hier nimmt sie wahr, dass der Bedarf kontinuierlich zunimmt. Wenn Pflege ins häusliche Umfeld verlagert wird, muss sich die Wohnung den Bedürfnissen anpassen. Die Klassiker sind „Badewanne raus, Dusche rein“ sowie der Einbau eines Treppenlifters. Auch Schwellenabbau oder die Höherlegung des Bettes werden häufig benötigt. „Es wird aber immer schwerer, einen Handwerker oder Installateur zu finden, der dies umsetzt. Dauerte ein Umbau früher ein viertel Jahr, so muss man jetzt durchaus ein Jahr auf einen Termin warten.“

Was kann die Pflegeberatung leisten?
„Wir versuchen die Menschen zu stärken, das Positive zu sehen: Es ist ein Mehrwert zuhause zu leben, so lässt sich eine Durststrecke oft besser aushalten“, sagt Ina Semmel: „Auch wir haben nicht für alles eine Lösung, doch auch eine kleine Änderung kann eine Verbesserung sein. Dafür sind wir eng verzahnt und haben im Blick, welches Angebot unterstützen kann.“ Als Lotsen verstehen sie sich, um den besten Weg zu finden, zu begleiten, Eigenkräfte zu mobilisieren und gemeinsam weitere Hilfen zu suchen.
Dennoch, Ina Semmel sieht die Herausforderungen stetig wachsen. „Es ist an der Zeit, ein soziales Miteinander aufzubauen, Gemeinsamkeiten zu leben, die Menschen am Rande der Gesellschaft wieder stärker einzubinden. So wie ältere die jungen Menschen brauchen, wären die jungen Menschen ohne die ‚Alten‘ gar nicht da. Nachbarschaftshilfe und Ehrenamt müssen wiederaufleben. Wer immobil ist, für den ist es der wahre Sonnenschein, wenn jemand eine Stunde in der Woche kommt und mit ihm oder ihr gemeinsam isst, sich unterhält oder auch nur gemeinsam aus dem Fenster schaut.“
Der Pflegestützpunkt für die Stadt Würzburg und den Landkreis Würzburg, vertreten durch das Kommunalunternehmen des Landkreises besteht seit über zehn Jahren. Zum 1. Juli 2021 ging das bisherige Modell mehrerer Träger in die gemeinsame Trägerschaft von Stadt und Landkreis über. Kooperationspartner sind die Fachstelle pflegende Angehörige von HALMA e.V. und der Bezirk Unterfranken mit der „Hilfe zur Pflege“.

Die Beratungszeiten im Pflegestützpunkt in der Bahnhofstraße 11, sind von Dienstag bis Donnerstag 9 bis 13 Uhr und 14-tägig Mittwoch von 13 bis 17 Uhr.
Zusätzlich beraten die drei städtischen Pflegeberaterinnen am Freitag wohnortnah:
Am ersten Freitag im Monat am Heuchelhof, Treffpunkt Altes Schwimmbad (auch für Heidingsfelder), am zweiten Freitag im Monat im Aktiv-Begegnungs-Zentrum ABZ Zellerau, am dritten Freitag im Monat im Quartiersbüro Lindleinsmühle und am vierten Freitag (ab Februar 2023) in der Sanderau.
Telefonisch ist der Pflegestützpunkt unter der Nummer: 0931/ 20 78 14 14 erreichbar: „Wenn der Anrufbeantworter anspringt, hinterlassen Sie uns eine Nachricht. Wir melden uns sobald als möglich bei Ihnen. Sie erreichen uns auch unter kontakt@pflegestuetzpunkt-wuerzburg.info. Wir sind für Sie da“, bekräftigt Ina Semmel.

BU: Sozialpädagogin und Pflegeberaterin Ina Semmel berät im Pflegestützpunkt der Stadt Würzburg. Foto: Claudia Lother

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7 Kommentare

  1. Ich sehe es auch so, dass es ein Mehrwert ist, zuhause zu leben. Bisher habe ich auch fast immer gehört, dass sich betroffene für einen ambulanten Pflegedienst entscheiden, wenn die Möglichkeit gegeben ist. Bei einer stationären Unterkunft ist die Umstellung doch recht groß.

  2. Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema alt werden in Deutschland. Mein Großvater spielt aktuell, aufgrund seines Gesundheitszustandes, mit dem Gedanken in ein Pflegeheim umzuziehen. Wir sind jedoch auch der Meinung, dass so lange ein ambulanter Pflegedienst ausreicht, wir dieses Privileg auch nutzen sollten.

  3. Mein Großvater spielt aktuell, aufgrund seines Gesundheitszustandes, mit dem Gedanken in ein Pflegeheim umzuziehen. Das ist wie ein Beitrag zu lesen ein schwerer Schritt. Meine Tochter möchte aus diesem Grund auch eine Ausbildung zur Pflegefachfrau machen.

  4. Gut, dass ich noch diese Seite zum alt werden entdeckt habe! Einige neue Informationen werde ich definitiv mitnehmen. Ich bedanke mich für den exzellenten Beitrag.

  5. Umbaumaßnahmen wie „Badewanne raus, Dusche rein“ sind sehr aufwändig. Aus diesem Grund hat sich meine Mutter schon sehr früh eine passende Wohnung für das Alter gesucht. Ein Pflegedienst schaut regelmäßig nach ihr.

  6. Mein Opa ist an Demenz erkrankt. Durch den Beitrag weiß ich, wie komplex dennoch auch die Pflege bei solchen Menschen ist. Darum werde ich meine Bewerbung als Pflegefachkraft abschicken.

  7. Mein Opa ist auch pflegebedürftig. Ihm wird ein ambulanter Pflegedienst empfohlen. Ich wusste noch gar nicht, dass Pflegebedürftigkeit und Immobilität häufig Einsamkeit nach sich ziehen. Wir werden darauf achten, dass das nicht passiert.

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