Um den Ansturm von Flüchtlingen in Europa zu bewältigen und die Ankommenden zu versorgen, bedarf es vieler helfender Hände. Unzählige Bürger engagieren sich ehrenamtlich. Sie errichten Unterkünfte, verteilen Nahrungsmittel und Kleidung, dolmetschen, erteilen Sprachunterricht, kümmern sich um die medizinische Versorgung oder verbringen ihre Freizeit mit den Menschen, die hier Schutz suchen.
Offensichtlich helfen sie, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten, und handeln somit altruistisch.
Aus sozialpsychologischer Sicht wird altruistisches Verhalten als uneigennütziges Handeln ohne die Erwartung einer Belohnung betrachtet. Das Konzept des Altruismus, von Auguste Comte 1830 eingeführt, ist jedoch sowohl in den Natur- als auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften umstritten. Können Menschen überhaupt handeln, ohne offen oder insgeheim eigene Interessen zu verfolgen?
Nach Darwins Evolutionstheorie ist die Idee des Altruismus paradox. Wer selbstlos anderen Ressourcen zur Verfügung stellt, verringert seine eigenen Überlebenschancen, ohne etwas zu gewinnen. Ein Verhalten, das anderen nützt, stellt den Grundsatz „survival of the fittest“ in Frage und wäre im Laufe der Evolution längst gelöscht worden.
Auch Skeptiker aus den Reihen der Psychologie bezweifeln den selbstlosen Antrieb helfender Handlungen. Stecken nicht immer auch egoistische Motive hinter der scheinbar uneigennützigen Unterstützung? Wenn die Helfer schon keine materielle Entlohnung erwarten, dann doch wenigstens Anerkennung, ein gutes Gewissen, die Reduktion von Schuldgefühlen oder das beruhigende Gefühl, ein guter Mensch zu sein? Sind Mutter Teresa und der Dalai Lama ebenfalls von verschleiertem Eigennutz getrieben? Oder steckt gar ein pathologisches Helfersyndrom hinter all der Güte, die Sucht, von anderen gebraucht und bestätigt zu werden?
Abschließend lassen sich diese Fragen kaum beantworten. Die Motive der Menschen
, die sich für andere einsetzen, sind schwer zu erkennen, geschweige denn zu messen. In der Forschung hat sich aber gezeigt, dass Menschen auch dann helfen, wenn sie weder Anerkennung noch irgendeine andere Form der Entlohnung zu erwarten haben. Am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig konnte man feststellen, dass selbst Kleinkinder spontan helfen, wenn sie wahrnehmen, dass andere Hilfe benötigen.
Fest steht, dass bestimmte Voraussetzungen prosoziales Verhalten begünstigen. Menschen, die von religiösen, kulturellen oder ethischen Werten ausgehen, in denen Gerechtigkeit und Fairness eine Rolle spielen, sind eher geneigt, egoistische Erwägungen hintanzustellen und Benachteiligte zu unterstützen. Auch die Fähigkeit zur Empathie ist entscheidend: Wer sich in die Not anderer hineinversetzen kann und Mitgefühl empfindet, wird wahrscheinlich etwas tun, um diese Not zu lindern.
Vielleicht ist es am Ende gar nicht so wichtig, aus welchen Motiven Menschen helfen, wenn sie etwas Gutes damit bewirken. Eine Künstlerin, die in einer Nürnberger Flüchtlingsunterkunft Malstunden für Kinder gibt, fasst ihr Empfinden in kurzen Worten so zusammen: „Sie freuen sich. Und dann freue ich mich auch.“
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von: ILI Institut für Lern-Innovation Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 90762 Fürth
Quellen/Sources:
Altruismus gibt es (nicht), http://www.altruismus.com/
Bettina Svec (2012). Existiert echter Altruismus? Sociology in Switzerland, Zürich. http://socio.ch/health/t_bsvec.pdf
Altruismus (2015). In: Zeit Online. http://www.zeit.de/thema/altruismus
Änne Ostermann (2000). Empathie und prosoziales Verhalten in einer Ellenbogengesellschaft? HSFK-StandPunkte 4/2000. Hessische Stiftung Friedens-und Konfliktforschung. http://www.uni-kassel.de/fb4/psychologie/personal/lantermann/sozial/hilfreich.pdf
Bild/Picture: Wikimedia Commons: Mutter Teresa, Manfredo Ferrari, wikimedia.org
Solange der Nutzen für die Hilfesuchenden überwiegt, dürfen meinetwegen ruhig auch egoistische Motive hinter der Hilfsbereitschaft stecken. Den absoluten Altruismus gibt es eh nicht.